Ulrike Taukert ist Psychologin, Kreis- und Gemeinderätin und Kreisvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
Die doppelte Unsichtbarkeit
Frauen in rechtsextremen Gruppierungen - Aufgaben, Motivation, Ursachen, Prävention
In Vorträgen oder anderen Veröffentlichungen zum Thema Rechtsextremismus fällt auf, dass Rechtsextremismus offenbar als vorrangig männlich wahrgenommen wird. Doch auch wenn Frauen in rechtsextremen Gruppierungen und Parteien in der Minderheit sind, so sind es doch immerhin 10-15% der Mitglieder. Dabei kommt es weniger auf den quantitativen Aspekt an, als auf den qualitativen.
Rechtsextreme Frauen scheinen in der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus unsichtbar zu sein und sind es über weite Strecken auch tatsächlich. In der rechtsextremen Ideologie werden Frauen für die politische Arbeit als weniger geeignet gehalten. Zitat NPD-Chef Baden-Württemberg (2014): „Frauen sind für die Politik nicht geeignet, weil sie emotionaler sind als Männer - Emanzipation stellt eine Degradierung der Frau dar“. Die natürliche Ordnung im Sinne der rechtsextremen Ideologie sieht die Frauen in der Rolle der fürsorglichen Mutter und Ehefrau. Emanzipation und Feminismus sind in dieser Sichtweise widernatürlich, Chaos stiftend und letztendlich daran schuld, wenn es zu sexuellen Übergriffen, insbesondere von Migranten, an (deutschen) Frauen kommt.
Gleichzeitig könnte die ganze rechtsextreme Szene ohne die Beteiligung von Frauen nicht in diesem Ausmaß Teil unserer Gesellschaft sein. Solange es in der Öffentlichkeit nur wenig bis kein Bewusstsein für rechtsextreme Frauen gibt, können sie mit scheinbar friedlichem Image „Anti-Antifa-Arbeit“ leisten und sich mit dem rechtsextremen, rassistischen Weltbild in verschiedenen Gruppen etablieren. So sind es häufig die Frauen, die Protestbewegungen unterwandern wie aktuell die Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen. Sie tragen keine Reichskriegsflagge vor sich her und formulieren ihre Slogans so, dass sie nicht gleich als rechtsextrem motiviert erkennbar sind. Gleichzeitig versuchen sie die Unzufriedenheit anzuheizen sowie in Gesprächen rechte Überzeugungsarbeit zu leisten.
Sie sind es, die sich in Elternbeiräten in Schulen und Kitas engagieren sowie in anderen Ehrenämtern und nach und nach die fremdenfeindliche und antisemitische Ideologie dort platzieren. Wo wir weiße Flecken im Ehrenamt hinterlassen, versuchen rechtsextreme Gruppierungen, diese über ihre Frauen zu füllen. Frauen besetzen auch bei öffentlichen Auftritten „Frauenthemen“ mit rechtsextremer Ideologie. Darin sind weibliche Selbstverwirklichung (Egoismus), Emanzipation und Feminismus (s.o.) als Feindbilder enthalten. (Sexuelle) Gewalt gegen Frauen wird ausschließlich im Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit gesehen und bekämpft, z.B. „Mütter gegen Gewalt“ wollen die deutschen Mädchen vor der Gewalt von Migranten schützen. (Sexuelle)Gewalt im weißen familiären Umfeld wird nicht thematisiert, obwohl sie im rechtsextremen Umfeld weitverbreitet ist. Das Perfide ist die vorgetäuschte Solidarität mit betroffenen Frauen, die es jedoch nur dann gibt, wenn der Täter einen Migrationshintergrund hatte.
Homosexualität und Feminismus werden als Frontalangriff auf die Anerkennung der deutschen Mutter gesehen. Seit 2017 gibt es einen Blog zweier Aktivistinnen der Identitären Bewegung mit dem Titel „radikal feminin“ (feminin als Gegensatz zu Feminismus), in dem die Beiden explizit antifeministische Positionen zu geschlechterpolitischen Themen formulieren (z.B. Mutterschaft als die wichtigste Rolle der Frau). Abtreibung erfährt auch in den rechtsextremen Frauenverbänden strikte Ablehnung außer bei Vergewaltigung, einem zu erwartenden behinderten Kind oder Gefährdung des Lebens der Mutter.
Seit Anfang des Jahrtausends gründeten sich zunehmend rechtsextreme Frauenverbände wie der Ring nationaler Frauen, rechtsextreme Frauenmagazine (Fazine), rechte Frauen-Rockbands und rechte Liedermacherinnen. Obwohl auch in der rechtsextremen Szene das Frauenbild so heterogen ist wie in der Gesellschaft, tragen alle Frauen die rechtsextreme Ideologie und das rechtsextreme Frauenbild mit. Die Arbeitsteilung bei rechter Gewalt wurde bisher noch relativ wenig untersucht. Frauen spielen dabei eine spezielle Rolle in der Anstachelung und emotionalen Aufheizung zu Gewalttaten sowie in der Absicherung und Verdeckung von Straftaten.
Theorien zu möglichen Ursachen und Motivationen
Neben den Zugängen über Partnerschaften mit rechtsextremen Männern oder als Töchter nationalsozialistischer Familien (z.B. Beatrix von Storch), gibt es verschiede Theorien für die Ursachen und Motivation, die bereits seit den 90iger Jahren in Studien überprüft werden.
Nach Rommelspacher und Holzkamp (1994, 1998) wachsen Frauen in den westlichen Industriestaaten in einer Dominanzkultur auf, in der sie gleichzeitig Unterdrückte sind und von den Privilegien profitieren sowie ihre eigenen Machtstrukturen ausleben können. Dieser Ambivalenz-Konflikt kann zu Überforderung führen zwischen, beruflicher Leistung, Familie und Mutterschaft. Das rechtsextreme Frauenbild kann entlastend wirken, wenn allein durch die Mutterschaft Anerkennung und Selbstwertstärkung erfolgt. Frauen, die Gewalt durch Männer erfahren mussten, an denen sie hängen, können es als erleichternd erleben, wenn sie ihre Wut auf Fremde projizieren können.
Siller und Birsl (1994, 1990) sehen die Hinwendung zum Rechtsextremismus, insbesondere bei jungen Frauen, als Folge unserer immer komplexer werdenden Gesellschaft, in der klassische Werte zerfallen, sich traditionelle Lebensformen auflösen und der Individualisierungsprozess stark verunsichert, den Selbstwert ins Wanken bringt und zur Orientierungslosigkeit führen kann. Dadurch können rechtsextreme Gruppierungen mit ihren binären Geschlechterrollen und ihren starken Vereinfachungen attraktiv werden, weil sie darüber die unübersichtliche Welt ordnen. Die Aufwertung über den Rassismus kann dabei so stark sein, dass sich Frauen außerhalb des sexistischen Weltbildes dieser Gruppierungen sehen.
Michaela Köttig (2004) fasst die verschiedenen Ansätze in ihrer Studie zusammen. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Ursachen für die Verortung von Frauen in der rechtsextremen Szene in einem wechselseitigen Zusammenspiel schwieriger biografischer, "unbearbeiteter" familiengeschichtlicher Themen und fehlenden stützenden außerfamiliären Rahmenbedingungen bestehen.
Die Vielfalt der verschiedenen Theorien, von denen ein Teil hier beispielhaft wiedergegeben wurde, macht deutlich, wie heterogen die Ursachen und Motivation für Frauen sein können, sich der rechtsextremen Szene anzuschließen. Deutlich wird insgesamt jedoch auch der Zusammenhang mit lebensgeschichtlicher Entwicklung und Lebenssituation. Deshalb können eine emanzipatorische Erziehung, die zur selbstbewussten Lebensgestaltung befähigt, ein stützender Rahmen sowie eine fundierte, differenzierte politische Bildung wichtige Ressourcen darstellen, die präventiv gegen die Verortung in rechtsextremen Gruppierungen wirken können.
Ulrike Taukert